Durch die Teilnahme am Internationalen Slam-Festival in Lausanne im November 2016 ergab sich mir die Möglichkeit an den «slam national» in Paris zu fahren. Ein Angebot, das ich – trotz Prüfungsstart in der nächsten Woche – ohne Zögern annahm.
Am 25. Mai 2017 stieg ich also in den TGV von Basel in die berühmte Stadt der Liebe. Die Reise wurde mir grosszügigerweise bezahlt und auch für meine Übernachtung wurde gesorgt. Während ich meine Zunge noch an die fremde Sprache zu gewöhnen versuchte, tauchte ich schon ein in die durchmischte Truppe der Slam Poeten beim Festivalzentrum «Culture Rapide» im Belleville. Ich begrüsste hier und da neue Gesichter, orientierte mich aber vorerst an meiner Gruppe «Le lizard bleu», die wir zu viert den Ort Lausanne vertreten würden und die ich vereinzelt schon kannte.
Alles war neu. Auch die Regeln, selbst ungeschriebene Gewohnheiten musste ich hier über den Haufen werfen.
Dies begann bereits bei der Wahl der Jury-Mitglieder: Jeder, der eine Tafel erhielt musste kurz erklären wieso er in die Jury wollte. Die Aussagen konnten ernsthaft sein oder auch aus einem witzigen Spruch bestehen, waren aber Pflicht. Auswahl aus dem Publikum gab es aber sowieso nicht viel, da gut die Hälfte des Saales aus Teilnehmern bestand und sich der Rest aus etwa hundert Zuschauern zusammensetzte. Dabei befand man sich in einer Stadt wie Paris!
Zum Vortrag selbst: die Zeitlimite betrug nur drei Minuten, die einzelnen Performances waren durchgehend von Lyrik geprägt, man fand kaum reine Comedy-Beiträge. Ich registrierte dies anhand der Lacher aus dem Publikum, weniger durch mein Verständnis der Texte. Denn trotz der grössten Anstrengung verlor ich mich viel zu oft im Tempomat der Mundbewegungen, in der verwirrenden Schnelligkeit der Rhythmen und Reime, zwischen lyrischen Sprachspielen und Fremdwörtern. Verständlicher und deshalb auch spannender für mich waren da die Beiträge zur Weltmeisterschaft, die parallel zur nationalen Veranstaltung abgehalten wurde. Dort wurden die Texte hinter den Auftretenden in der Originalsprache, in Englisch und Französisch simultan projiziert. Nicht nur begriff ich die Inhalte so besser, es war auch faszinierend die Verschiedenartigkeit der Performances je nach Kultur und Sprache zu beobachten.
Ich selbst löste das Problem des Verstehens folgendermassen: Ich hatte meine Texte zuhause übersetzt und wechselte mehrmals auf der Bühne versetzt von Deutsch auf Französisch – mit dem Charme eines nicht herauszubringenden Akzents in der Stimme. So doppelzüngig betrat ich die Bühne, liebte den Moment der Verwirrung, wenn ich auf Deutsch begann und auch die anschliessenden Zeilen der Auflösung. Die Auftritte verliefen gut. Wir sammelten Punkte für unsere Gruppe, nach zwei Vorrunden reichten diese überraschenderweise sogar für den Einzug ins Halbfinale!
Doch … dann geschah etwas, mit dem niemand gerechnet hatte: Kurz vor Beginn des Halbfinales wurden wir vom Wettbewerb disqualifiziert – durch meine Schuld!
Dies wird Menschen, die mich kennen zunächst verwundern. Hat sie auf der Bühne mit Schimpfwörtern um sich geschlagen? Hat sie den Organisatoren beleidigt? Nein, mein Fehler war allein, dass ich auf der Bühne zwei Texte vorgetragen hatte!
Da in die drei Minuten Text plus Übersetzung natürlich keiner meiner «normalen» Texte Platz hatte, trat ich mit Gedichten auf. Am ersten Abend reichte dabei eines, beim zweiten Auftritt wollte ich aber die Zeit voll auskosten und hängte noch ein zweites Gedicht an. Hätte ich nur gewusst, dass dies im Reglement verboten war – obgleich ich diese Regel nicht verstehen kann und will.
Alles in allem war es dennoch eine schöne Zeit. Nach kurzem Ärgern verflog der Frust und ich genoss die Zeit unter der bunt durchwürfelten Poetenschar, wie ich es von Anfang an getan hatte. Ich hatte ich mich zu den verschiedensten Gruppen gesellt, zu den verschiedensten Zeiten, hatte den rosazarten 6-Uhr-Morgen-Himmel gesehen und das schrittbedeckte Strassenpflaster bei Nacht. Und tagsüber spazierte ich alleine durch Paris, während ich dem Kater in meinem Kopf das Fell streichelte. Ich war glücklich.
Ich glaube
ich habe die schönsten Tage
des Lebens verbraucht
als Erinnerungsfunken
Wegweiserverse
ein paar Worte Paris
Da waren Leute, nein Menschen
aus Montreuil, Champagny
aus Lille, Brest, Paris
aus Quebec und Kanada
aus Ghana und Südafrika
aus Spanien und Italien
aus Israel und Argentinien
aus Norwegen und Brasilien
ja die ganze Welt
in einer Stadt vereint
ich wusste nicht,
dass wir so klein sind
und ich glaub
ich habe mich mit jeder Stimme
mal versprochen
gestottert und gelacht
mit farbenfrohem
Sprachenknäuel in der Hand
und die Nacht erkannt
als bald erwachenden morgen
als Handgelenk der Zeit
und so sollte es sein
ein Kreis von Gleichgesinnten
ein Rhythmus
ein Pulsschlag von vielen
und Worte
man muss sie nicht verstehen
um sie zu hören
man soll noch nicht gehen
müde ist man dann morgen
erst morgen
noch ein bisschen
dieser Stimme lauschen
noch ein paar wenige
Kauderwelschworte tauschen
ein bisschen leben
und ja nicht vergessen
vergessen kann man morgen noch genug
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